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Sep. 21st, 2012 08:20 pm
Ausschnitt aus der atomaren Struktur eines aus Aluminium (grau), Kupfer (rot) und Eisen (grün) bestehenden Quasikristalls. Aus dieser Perspektive besitzt der Quasikristall eine zehnzählige Symmetrie bezüglich Drehungen.
Natürliche Quasikristalle sind eine Rarität. Von dem einzigen bisher bekannten Exemplar nimmt man an, dass es in einem Meteoriten zur Erde gelangte. Neue Funde untermauern diese Hypothese nun.
Christian Speicher
Als der Materialwissenschafter Dan Shechtman vom Technion in Haifa 1982 in einer rasch abgekühlten Aluminium-Mangan-Legierung auf Kristalle stiess, deren fünfzählige Symmetrie nicht mit einer periodischen Struktur in Einklang zu bringen war, musste er sich spöttische Kommentare gefallen lassen (siehe Interview). Denn eine sich periodisch wiederholende Anordnung von Atomen galt damals als das Wesensmerkmal von Kristallen. Heute ist die Existenz von Kristallen mit quasiperiodischer Ordnung allgemein akzeptiert. Genauso wie periodische Metallkristalle können Quasikristalle unter geeigneten Bedingungen beliebig gross gezüchtet werden. Umso erstaunlicher ist es, dass man lange Zeit vergeblich nach natürlichen Quasikristallen auf der Erde gesucht hat. Erst in den letzten Jahren hat sich das Blatt gewendet. Kurioserweise stammen die im Fernen Osten Russlands entdeckten Exemplare aus einer Zeit, als unser Sonnensystem gerade erst im Entstehen begriffen war.
Zweifel an Stabilität
Die treibende Kraft hinter der Suche nach natürlichen Quasikristallen ist der theoretische Physiker Paul Steinhardt von der Princeton University. Steinhardt ist nicht nur ein weltweit anerkannter Kosmologe, er war auch derjenige, der im Jahr 1984 – nur wenige Wochen nach der ersten Publikation von Shechtman – den Begriff «Quasikristall» prägte und eine Theorie dieser neuartigen Materialien vorlegte. Damals war die Ansicht verbreitet, Quasikristalle seien metastabile Zustände der Materie, die bei tiefen Temperaturen in einen stabileren Zustand mit periodischer Ordnung übergehen sollten. Das habe seiner Theorie widersprochen, sagt Steinhardt. Mit der Suche nach natürlichen Quasikristallen habe er zeigen wollen, dass diese trotz ihrer komplexen Ordnung stabil sein können.
Eine erste Suchaktion, bei der die Mineraliensammlungen verschiedener Museen durchforstet wurden, erwies sich als ergebnislos. Im Jahr 1999 packte Steinhardt die Sache jedoch systematisch an. Er stützte sich dabei auf eine Datenbank, in der die Beugungsmuster von Tausenden von Mineralien gespeichert sind. Die Idee bestand darin, anhand bestimmter Merkmale im Beugungsmuster Mineralien zu identifizieren, bei denen es sich um Quasikristalle handeln könnte.
Auch das brachte zunächst keinen Erfolg. Immerhin wurde aber das Interesse von Luca Bindi von der Universität Florenz geweckt. Im naturhistorischen Museum der Universität stellte Bindi eigene Nachforschungen an. In einer Gesteinsprobe, die das Museum im Jahr 1990 erworben hatte, stiess er auf winzige Einschlüsse eines Minerals, das von der Zusammensetzung her im Labor hergestellten Quasikristallen ähnelte. Eine elektronenmikroskopische Untersuchung offenbarte, dass es sich um ein quasikristallines Mineral aus Aluminium, Kupfer und Eisen handelte, das die fünfzählige Symmetrie eines Ikosaeders besass. Das Mineral wurde deshalb von Steinhardt und Bindi auf den Namen Ikosahedrit getauft. Inzwischen ist es als der erste natürliche Quasikristall anerkannt.
Produkt einer Kollision?
Damit war allerdings noch nichts über die Herkunft und die Entstehungsgeschichte dieses Minerals bekannt. In den vergangenen Jahren ist es Steinhardt und Bindi in Zusammenarbeit mit anderen Forschern gelungen, diese zumindest ansatzweise zu rekonstruieren. So zeugt die Existenz von Stishovit, einer Hochdruckmodifikation von Quarz, davon, dass bei der Entstehung des Quasikristalls ein gewaltiger Druck im Spiel gewesen sein muss. Solche Verhältnisse trifft man entweder tief im Erdmantel an oder wenn Gesteinskörper im Weltall mit hoher Geschwindigkeit kollidieren.
Das in Silikaten und anderen Mineralien des Gesteins gemessene Verhältnis verschiedener Sauerstoffisotope spricht für einen extraterrestrischen Ursprung. Ähnliche Isotopenverhältnisse findet man nämlich auch in gewissen Steinmeteoriten, die sich seit ihrer Entstehung im solaren Urnebel nur geringfügig verändert haben. In einer im Januar in den «Proceedings of the National Academy of Sciences» veröffentlichten Arbeit zogen Steinhardt und seine Mitarbeiter deshalb den Schluss, dass der Ikosahedrit Teil eines Meteoriten ist, der vor 4,5 Milliarden Jahren gebildet wurde. Darin sehen die Forscher einen Beleg für die Stabilität der Quasikristalle.
Von dieser Schlussfolgerung ist Walter Steurer vom Laboratorium für Kristallographie der ETH Zürich allerdings nicht überzeugt. Er weist darauf hin, dass selbst ein Alter von 4,5 Milliarden Jahren noch kein Beweis für die Stabilität eines Quasikristalls sei. Dass dieser noch nicht in einen stabileren Zustand übergegangen sei, könne auch daran liegen, dass seit der Entstehung noch nicht die dafür nötigen Bedingungen erreicht worden seien. Solange man die thermische Vorgeschichte des Meteoriten nicht kenne, so Steurers Fazit, werde man nichts darüber lernen, ob Quasikristalle auch bei sehr tiefen Temperaturen thermodynamisch stabil sein können. Viel interessanter findet Steurer, dass der Quasikristall so lange überleben konnte, ohne zu oxidieren. Für eine intermetallische Verbindung, die leicht oxidierbares Aluminium enthalte, sei das aussergewöhnlich. Das habe aber nichts mit der Quasiperiodizität des Quasikristalls zu tun.
Auch Steinhardt sieht weiteren Forschungsbedarf. Für eine eingehendere Untersuchung der Entstehungsgeschichte seien die quasikristallinen Einschlüsse in dem Gestein zu klein. Auch wisse man nichts über die geologischen Verhältnisse am Fundort. In Steinhardt und Bindi reifte deshalb schon vor einigen Jahren der Entschluss, an den Fundort zurückzukehren und dort nach weiteren natürlichen Quasikristallen zu suchen. Das war allerdings leichter gesagt als getan. Es kostete die Forscher anderthalb Jahre, die abenteuerlichen Wege zurückzuverfolgen, auf denen die Gesteinsprobe ins Museum von Florenz gelangt war. Schliesslich gelang es ihnen, den Finder ausfindig zu machen, der das Gestein 1979 auf der Kamtschatka-Halbinsel im äussersten Osten Russlands geborgen hatte.
Rückkehr nach 30 Jahren
Nachdem diese Hürde genommen worden war, machte sich Steinhardt daran, eine internationale Expedition auf die Beine zu stellen. Auch Valery Kryachko, der ursprüngliche Entdecker, war mit von der Partie, als sich die Truppe im Juli 2011 auf den Weg machte. Die Aussicht auf Erfolg habe er als sehr gering eingeschätzt, gesteht Steinhardt. Man müsse schon einen gewissen Fanatismus mitbringen, um sich auf ein solches Abenteuer einzulassen.
Die Hartnäckigkeit scheint sich bezahlt gemacht zu haben. Man habe mindestens neun weitere Ikosahedrit-Körnchen gefunden, sagt Steinhardt. Diese seien teilweise deutlich grösser als die bisher bekannten. Über weitergehende Resultate möchte Steinhardt nicht reden, solange diese nicht veröffentlicht sind. In einem kürzlich publizierten Übersichtsartikel haben er und Bindi allerdings durchblicken lassen, dass die Meteoriten-Hypothese durch die neuen Funde gestärkt werde.
Steurer rechnet nicht damit, dass die Untersuchung neue Erkenntnisse über Quasikristalle bringen werde. Steinhardt stellt hingegen weitere Überraschungen in Aussicht. Dabei geht es ihm nicht nur um die Entstehungsgeschichte der natürlichen Quasikristalle. Mindestens ebenso interessant ist in seinen Augen, was diese über die Entstehungsgeschichte des Sonnensystems verraten.
Aus : http://www.nzz.ch/wissen/wissenschaft/nicht-von-dieser-welt-1.17621992#